Codewort Liebesmüh

Mein Mann ertrank während unseres Urlaubs. Dass er ein guter Mann, Vater und Großvater gewesen war, unsere Ehe glücklich, hätte ich hundertprozentig unterschrieben. Und doch machte während der Beisetzung das Verlustgefühl einer rauschhaften Leichtigkeit im Angesicht seines Todes Platz. Das überwältigende Freiheitsempfinden zwang mich in die Knie. Während der Beileidsbekundungen spürte ich weder Trauer noch Schmerz, nur Scham.

Meine Weigerung heimzukehren, befremdete die Familie. Doch ich berief mich auf die Bestattungsriten der Einheimischen. Mangels Erde bettete man die Toten ein Jahr in Steinkisten, entnahm dann feierlich die Knochen und überführte sie ins Beinhaus. Ich erklärte, bis dahin bleiben zu wollen. Den Grund behielt ich für mich: Dieses glasklare Glücksgefühl und das Grauen darüber. Meinen Irrtum über die Liebe, die Ehe. War alles nur Heuchelei und Selbstbetrug?

Ich mietete eine Schäferhütte, nähte mir eigenhändig schwarze Kleider, unternahm erschöpfende Wanderungen. „Spazier“, nickten die alten Frauen und steckten mir Tütchen mit Salz gegen den bösen Blick zu. Ich meditierte über die Liebe, bis mir das Wort nichts mehr sagte, ein leerer Klang, wie die Empfindung selbst. Manchmal war mir, als sei ich aus einem Koma erwacht und davor hätte es nur Leere gegeben.

Eines Tages verstellte mir der berüchtigte Insel-Ziegenbock den Weg. Er presste seinen behornten Schädel in meine Weichteile und schielte nach meinem Stock. Ich nestelte das Salz aus der Rocktasche und hielt es ihm hin.

„Es muss Liebe sein“, grinste der Hirte, der ihn einzufangen versuchte. „So wie er an dir klebt!“

„Wohl eher Fresslust!“ Ich hielt das Salztütchen hoch.

„Du hast, was er will, und du gibst es ihm“, zwinkerte er. „Das ist doch Liebe!“

Meine Seele erbebte. „Das ist alles?“

„Alles!“

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