Codewort Seelenlehm

 

Seelenlehm

Ich knete den Schmerz in den Lehm. Die Scheibe rotiert. Das weiche Material kühlt meine Hände. Ich halte die Tasse und drücke gleichzeitig zu. Zu fest, es fällt in sich zusammen.

Ich gebe auf.

Ein Töpferkurs gegen Liebeskummer. Was für eine bescheuerte Idee! Mit freundlicher Empfehlung von der besten Freundin.

„Das hilft wirklich. Du konzentrierst dich so sehr, dass keine anderen Gedanken möglich sind“, sagte sie.

Ich nahm ihr nicht übel, dass sie mein Geheule über die Trennung von Sven nicht mehr hören wollte. Ich wollte es ja selbst nicht mehr hören. Die Liebe ist eine sanfte Macht. Sie lässt uns verrückte Dinge machen. Mit ihr wachsen wir über alle unseren erdachten und wirklichen Grenzen hinaus. Durch sie können wir verzeihen.

Ich matsche den schweren Lehm nochmal zusammen und muss an eine Ausstellung denken, die ich vor Jahren besucht habe. Zu sehen waren Seelengefäße aus Westafrika: große bauchige Behältnisse aus Ton, verziert mit Mustern, Gesichtern und geheimnisvollen Schriften. Wenn ein Mensch starb, stellte man das Seelengefäß neben dem Toten und wartete. Dann kam der Deckel darauf. Die Gefäße wurden 40 Tage an einem besonderen Ort aufbewahrt. Zeit für die Seele, ins Jenseits zu gelangen.

Nur Frauen dürfen die Seelengefäße herstellen. Sie erlernen das Handwerk von ihren Müttern und geben es an ihre Töchter weiter. Eine weibliche Kette der Trauerarbeit.

40 Tage sind zu kurz. Sowohl für den Tod als auch für Liebeskummer. Die Seele braucht viel länger als der Kopf, um den Verlust zu verarbeiten. Ich gab Liebe und sie ist weg. Unser größter Verlust im Leben.

Ich starte einen letzten Versuch: ein Seelengefäß im Kleinformat. Es könnte meine Traurigkeit aufnehmen, so wie die Seelen in Westafrika. Ich starte die Scheibe, klatsche den Lehm darauf und beginne zu formen.

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